Ein Kommentar von Daniel Priebs (10. Jg.) / Bild von Max Bodtke (10. Jg.)
„How dare you?! You have stolen my childhood and my dreams!“ Als ich letztens bei Instagram meinen Feed durchstreifte, fiel mir eine hitzige Diskussion in den Kommentaren unter einem Clip von Greta Thunberg auf, in dem sie die Schuld am fehlenden Klimaschutz den Regierungen der Industrienationen gibt. Eine Seite der Diskutierenden war der Meinung, dass der Staat nicht die Verantwortung für den Klimaschutz trage, sondern das Individuum. Die andere Seite war der Ansicht, dass das vorangegangene vollkommen falsch sei und Greta Thunberg mit ihrer Einschätzung Recht habe. Für beide Positionen wurden gute Argumente ins Feld geführt. Die Frage „Pro“ oder „Kontra“ der staatlichen Verantwortung ist eine zentrale Fragestellung in der Diskussion, wie dem Klimawandel am wirksamsten begegnet werden kann. Die folgende Erörterung soll zur Klärung dieser wichtigen Frage einen Beitrag leisten.
Es gibt eine Reihe sehr ernst zu nehmender Argumente, die dagegensprechen, dass der Staat die Verantwortung für den Klimaschutz trägt oder tragen sollte.
Es ist wichtig zu erkennen, dass der Staat nur einer von vielen einflussreichen Akteuren in einem Land ist, der allein zu wenig Macht hat, um den Klimawandel zu stoppen. Nur, wenn andere große Institutionen, wie z.B. die Wirtschaft, Gewerkschaften, Energieversorger, Verkehrsbetriebe, Banken, Universitäten, Kirchen, usw. ihr finanzielles, technologisches, geistiges und moralisches Potential in die Klimarettung einbringen, kann dieses Mammut-Projekt bewerkstelligt werden. Der Staat allein und seine Gesetze bewirken viel zu wenig. Was nützt es zum Beispiel, wenn der Staat ein Gesetz erlässt, das die Autoindustrie verpflichtet, ab einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Anteil an Elektroautos zu produzieren, wenn aber die Industrie weder technologisch noch finanziell in der Lage ist, dies zu realisieren? Das Ergebnis wäre dann vielleicht, dass das Unternehmen Strafen zahlen müsste oder Arbeitsplätze verloren gingen oder das Unternehmen ins Ausland abwandert. Dem Klimaschutz wäre damit nicht gedient. Zudem sind es ja immer wieder gerade solche Staaten, die am Klimawandel den größten Anteil haben, wie z.B. China, die USA oder Brasilien, die beim Klimaschutz kläglich versagen, indem sie nichts tun, sich internationalen Vereinbarungen zum Klimaschutz verweigern oder sogar das Problem komplett leugnen. Dabei braucht man gar nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen: Auch Deutschland erreicht seine Klimaziele nicht und tut bislang viel zu wenig. Dadurch ist viel wertvolle Zeit verloren gegangen. Viele Staaten haben bewiesen und beweisen weiterhin, dass sie ihre Verantwortung für den Klimaschutz nicht tragen können oder wollen.
Was am staatlichen Handeln jedoch völlig kontraproduktiv ist, ist, dass er seiner Natur nach immer nur „von oben herab“ handeln kann, also durch Gesetze, Regeln, Zwang oder Begünstigungen, die häufig regionale oder individuelle Besonderheiten nicht berücksichtigen. Wenn man es ehrlich betrachtet, wird Klimaschutz vielfältige Einschränkungen und finanzielle Belastungen nicht für einige Monate bedeuten, sondern vielleicht für Generationen. Das staatliche Handeln könnte dabei auf Dauer in der Bevölkerung als Gängelung empfunden werden und eine klimafreundliche Politik auf immer geringere Akzeptanz stoßen, so dass zuletzt die Bürger sich vielleicht wieder für eine bequemere Politik entscheiden würden. Der Staat stößt hier mit seinem Handeln also sehr schnell an seine Grenzen, wenn die Menschen nicht selbst richtig und klimafreundlich handeln. Nur, wenn jeder Einzelne von den Zielen des Klimaschutzes überzeugt ist und bereit ist, die Belastungen mit zu tragen, kann Klimaschutz wirksam werden. Der Staat kann höchstens einen Rahmen geben, ihn aber nicht mit Leben füllen. Dafür trägt jeder Einzelne die Verantwortung.
Auf der anderen Seite lassen sich gewichtige Argumente in die Diskussion einbringen, die die staatliche Verantwortung für den Klimaschutz stützen.
So hat der Staat eine grundsätzliche Verantwortung und Funktion, Leib und Leben – und damit auch die Lebensgrundlagen – seiner Bürger zu schützen. Im Falle einer großen, umfassenden Bedrohung, die das ganze Land betrifft wie etwa einer Pandemie, mit der wir ja gerade Erfahrungen sammeln, oder dem Klimawandel, wird aus dieser abstrakten Verantwortung eine konkrete Verpflichtung zum Handeln. In einem demokratischen Staat übertragen die Bürger dem Staat und der Regierung aus freiem Willen diese Verantwortung und Verpflichtung und erwarten dann, dass der Staat in einer Krise diese Verantwortung auch wahrnimmt. Andernfalls würde der Staat seine Berechtigung verlieren. Man sollte aber nicht nur auf den eigenen Staat schauen, denn auch der Klimawandel beschränkt sich nicht nur auf ein Land, ist nicht nur ein nationales, sondern ein globales Problem. Daher muss international an einem Strang gezogen werden. Die wichtigsten Akteure auf internationaler Ebene sind aber eben die Staaten. Nur durch internationale Vereinbarungen der Staaten kann der Klimawandel gestoppt werden. Dazu braucht man funktionierende Staaten, die bereit sind, ihre Verantwortung zum Klimaschutz zu tragen. Wenn viele und auch wichtige Staatendiese Verantwortung nicht tragen, gibt es keine wirksamen globalen Vereinbarungen zum Klimaschutz. Dazu gehört, dass auf internationaler Ebene häufig ein Staat auf den anderen schaut. So kann z.B. ein Staat von anderen Staaten Kritik auf sich ziehen oder aber als Vorbild dienen. Letzteres kann dann funktionieren, wenn ein Staat sich klimafreundlich verhält und dies dann noch dazu führt, dass durch intelligentes Fördern (oder Besteuern) durch den Staat klimafreundliche technologische Innovationen vorangetrieben und umgekehrt klimaschädliche Verhaltensweisen eingedämmt, also sozusagen „bestraft“ werden, ohne dass die wirtschaftliche, finanzielle und soziale Stabilität in Gefahr gerät, womit dem Klimaschutz überhaupt nicht geholfen wäre. Gerade wohlhabende Staaten mit einem hohen technologischen Standard wie z.B. Deutschland haben hier die Chance und Verantwortung für andere Staaten zu einem guten Beispiel zu werden. Andere Staaten werden auf solche Vorbild-Staaten mit großem Interesse schauen. Auch dies ist eine internationale Verantwortung der Staaten für den Klimaschutz.
Was aber am schwersten in der Waagschale der Pro-Argumente wiegt, ist Folgendes: Die Bedrohung durch den Klimawandel ist zu groß und zu existentiell für die Menschheit, die erforderlichen Gegenmaßnahmen sind zu umfassend und zu komplex, um sie dem Handeln einzelner Institutionen und einzelner Menschen zu überlassen. Nur der Staat hat die Legitimation und Macht, koordinierte, umfassende und ggf. auch unpopuläre Maßnahmen zu beschließen und dann auch durchzusetzen, ohne dabei andere wichtige Aspekte aus den Augen zu verlieren, wie z.B. Gerechtigkeit, wirtschaftliche, finanzielle und soziale Stabilität. Keine anderen Institutionen können durchsetzen, was der Staat durchsetzen kann und darf, denn er hat die Mittel dazu (Gesetze, Steuern, Förderungen, Strafen, Polizei usw.). Z.B. kann keine Kirche wirklich verhindern, dass wir weiterhin viele Fernreisen mit dem Flugzeug machen; keine Schule kann verhindern, dass Eltern ihre Kinder mit dem Auto in die nahe Schule bringen. Sie können lediglich darauf hinwirken oder dazu beitragen, aber letztlich durchsetzen können sie es nicht. Der Staat aber kann das und in einer Demokratie hat er mit einer frei gewählten Regierung auch die Berechtigung dazu. Also: Der Klimawandel ist ein mächtiger Feind des Menschen und aller Lebewesen auf der Erde, leider ein durch den Menschen selbstgeschaffener Feind. Dagegen muss die mächtigste Waffe ins Feld geführt werden, die wir haben. Und das ist der Staat mit seiner gewählten Vertretung der Bürger.
In meiner Einleitung zu dieser Erörterung berichtete ich, dass das Thema mein Interesse weckte, als ich bei Instagram in den Kommentaren unter einem Clip von Greta Thunberg auf eine sehr hitzige Pro- und Contra-Diskussion gestoßen war. Der Meinungsaustausch lief dabei zum Teil sehr unsachlich ab, was für die Beantwortung der sehr wichtigen Frage, ob nämlich der Staat Verantwortung für den Klimaschutz trägt, nicht hilfreich war. Die Möglichkeit, anhand dieser Erörterung das Thema ruhiger und hoffentlich auch sachlicher zu bewerten, war aus meiner Sicht der Sache „Klimaschutz“ viel dienlicher. So kann man erkennen, dass sich eine Reihe guter Pro, aber auch Kontra-Argumente finden lässt, was allerdings die Entscheidung für eine Position nicht gerade leicht macht. Nach Abwägung aller Argumente entscheide ich mich sehr klar für die Verantwortung des Staates für den Klimaschutz. Warum? Weil es nicht ernsthaft und vernünftig zu leugnen ist, dass der Klimawandel mehr als ein großes Problem ist: Er bedroht die Existenz des Lebens auf der Erde. Gegen diese Bedrohung dürfen wir nicht nur „kleckern“, wir müssen „klotzen“. Und das, bevor es zu spät ist. Der Staat, als die mächtigste Institution, die mir bekannt ist, muss hier aktiv werden. Nur er hat die Macht und Mittel, die Berechtigung und Akzeptanz, dem Megaproblem Klimawandel wirksam entgegenzutreten und in allen möglichen Bereichen (Umwelt, Wirtschaft, Soziales, Finanzen usw.), also allumfassend und auch international, Maßnahmen zu ergreifen. Damit beantworte ich für mich die Frage nach der Verantwortung des Staates für den Klimaschutz mit „ja“. Diese Antwort bedeutet aber nicht, dass anderen Akteuren die Verantwortung abgesprochen wird. Die Kontra-Argumente haben doch gezeigt, dass der Staat allein es nicht schaffen kann. Wieviel Wissen und Engagement und auch Geld gibt es in anderen Bereichen unserer Gesellschaft, die den Staat an ihrem jeweiligen Platz perfekt ergänzen können: Es wäre dumm, diese Akteure von der Verantwortung für den Klimaschutz auszuschließen. Das Dümmste aber wäre es, wenn nicht jeder einzelne seine Verantwortung erkennen und leben würde, denn am Ende sind es die Individuen, die alle staatlichen Maßnahmen werden mittragen, und wahrscheinlich häufig auch ertragen müssen. Als Bilanz meiner Erörterung würde ich also ein „ja, aber…“ formulieren: Ja zur Verantwortung des Staates, aber bitte für andere auch.
In meinem letzten und wichtigsten Pro-Argument hatte ich den Staat als mächtigste Waffe gegen den mächtigen Feind Klimawandel bezeichnet. Das klingt vielleicht etwas zu kriegerisch und nicht wirklich nach Spaß. Aber der Klimawandel versteht auch keinen Spaß!